Lüneburger Heide
Wo aus Kultur Natur wird:
Landlust Reisereportage Lüneburger Heide
Die kleine Dorfkirche in Undeloh stammt noch aus dem Mittelalter und gilt als eine der schönsten Heidekirchen. Einen im Dreißigjährigen Krieg zerstörten Teil hat man nicht wieder aus Feldsteinen, sondern als Backstein-Fachwerk aufgebaut, wie man es häufig in der Region sieht. Der helle Kirchenraum ist ein Ruhepol inmitten geschäftigen Treibens, denn der Ort ist heute gut besucht: Das Wetter ist perfekt und die Heidelandschaft südlich von Undeloh soll besonders eindrucksvoll sein, gerade zu dieser Jahreszeit. Vom 8. August bis zum 9. September, so besagt eine Faustregel, ist die Hauptblütezeit der Heide, manche Arten blühen jedoch schon früher. Ohnehin hat jede Fläche ihren ganz eigenen Rhythmus und jede Saison ihren Reiz.
Ein mehrspuriger Weg führt aus dem Ort hinaus Richtung Wilsede. Diese Unterteilung von gepflasterten Winter- und unbefestigten Sommerwegen stammt noch aus der Zeit der Pferdekarren – bei schlechtem Wetter gewährleistete das Pflaster sicheren Halt, bei gutem schonte der sandige Boden Hufe und eiserne Reifen. Auch für Wanderer ist es angenehm, wechseln zu können. Wer es etwas bequemer haben mag – oder sich vielleicht auch Hin- und Rückweg aufteilen möchte – nimmt eine Kutsche. Der Weg führt ein gutes Stück an einem Wald entlang, zur anderen Seite öffnet sich zaghaft die Heide. So richtig offenbart sie sich allerdings erst ab der nächsten Kreuzung und liegt dann wie ein weiter Kessel vor uns. Dunkles Nadelgrün trennt ihn vom Horizont.
Ein Schleier aus perlenartigen violetten Blüten zieht sich über das Land und täuscht darüber hinweg, dass das Heidekraut nicht etwa ein zartes Pflänzlein ist, sondern ein regelrechter Überlebenskünstler. Es wird durchbrochen von weizengelben Grasbüscheln und Heidelbeergrün, und gar fast wie von einem anderen Stern wirken die hochgewachsenen Wachholderbüsche, die vereinzelt oder in losen Grüppchen in der Landschaft stehen und seit Jahr und Tag Wind und Wetter trotzen. Birken wiegen sich sanft im Wind. Jenseits unserer direkten Strecke von Ort zu Ort lässt sich die Heidelandschaft auf gut begehbaren Pfaden erwandern, sie führen durch weite Wälder mit zum Teil noch jahrhundertealten Eichenbeständen oder durch die Auen von kleinen Flüssen und Bächen. Die Heide zeigt sich überraschend vielseitig.
Den Gegebenheiten angepasst
Was wie unberührte Natur wirken mag, ist tatsächlich das Ergebnis menschlicher Kultivierung. In frühesten Zeiten ist das Land einmal bewaldet gewesen. Durch Brandrodung schuf der Mensch Weideflächen, auf denen dann vornehmlich die Besenheide gedieh. Hügelgräber zeugen noch von der steinzeitlichen Besiedelung. Auch später hatten die Landwirte es hier schwer, den nährstoffarmen Böden etwas abzuringen. Es etablierte sich ein Kreislauf aus Ackerbau und Viehhaltung. Mühselig musste zuerst der durchwurzelte Oberboden in Form sogenannter Plaggen abgetragen werden. Sie wurden in den Viehställen ausgebracht und allmählich zu Dünger, um die Böden anzureichern. Aufeinanderfolgend ließen sich nun Roggen, Hafer und Buchweizen anbauen. Wollte auch der nicht mehr gedeihen, konnte man das Land erstmal wieder nur als Kuhweide nutzen. Unterdessen säte sich das Heidekraut neu aus und damit die Flächen nicht komplett zuwucherten, schickte man die Heidschnucken hinaus.
Zur Heidebauernwirtschaft gehörte auch die Imkerei. Die sogenannten Bienenzäune, eine Art Reihenhäuschen für Bienenkörbe, werden immer noch von Imkern bestückt, der cremige Heidehonig ist eine Spezialität. Ebenso halten Heidschnuckenherden nach wie vor die Sträucher durch Verbiss kurz und betreiben so Landschaftspflege: Schäfer ziehen mit ihnen umher und mit etwas Glück begegnet man ihnen auf ihrem Weg zu einem der großen hölzernen Schafställe, ihrem Nachtquartier, die immer wieder mitten in der Landschaft auftauchen. Das Naturschutzgebiet Lüneburger Heide beinhaltet heute einige der größten Heideflächen Mitteleuropas. Viele gefährdete Pflanzen und Tiere, wie etwa das Birkhuhn, finden in diesem besonderen Ökosystem letzte Rückzugsgebiete.
Dorf aus alter Zeit
Beim annähernd zentral gelegenen Heidedorf Wilsede nahm das Naturschutzgebiet seinen Anfang: 1906 hat sich ein lokaler Pastor, Wilhelm Bode (1860 – 1927) in Egestorf, für den Erhalt der Landschaft eingesetzt und einen Mäzen für den Ankauf des benachbarten Totengrundes gefunden. Somit verhinderte er eine geplante Bebauung und legte den Grundstein für das Schutzgebiet. Offiziell wurde dieses dann 1922 ausgewiesen und ist damit das älteste Niedersachsens. Weitere Flächenankäufe fanden durch den Verein Naturschutzpark und die zugehörige Stiftung statt, die diese heute noch hält.
Mit den historischen Höfen und Schafställen, den malerischen Wiesen und Weiden könnte man das autofreie Wilsede fast mit einem Museumsdorf verwechseln, doch tatsächlich ist es bewohnt. Mehrere Wanderstrecken kreuzen sich hier und Cafés und Restaurants laden zur Rast ein. Im Heidemuseum „Dat ole Huus“ wird die ursprüngliche Lebensweise der Heidebauern anschaulich, aber auch das Ortsbild selbst zeugt von der landwirtschaftlichen Vergangenheit. Eine regionale Besonderheit sind die Treppenspeicher: Bei diesen zweigeschossigen hölzernen Speichern für beispielsweise Getreide oder Wolle führt eine außenliegende Treppe nach oben. An einem von Birken gesäumtem Weg westwärts fällt ein langer, wehrhaft wirkender Zaun aus gespaltenen Eichenstämmen auf, ein traditioneller „Ekenboltentun“, mit denen früher die Gehöfte abgegrenzt wurden. Folgt man diesem Weg, liegt rechter Hand der Wilseder Berg – mit 169 Metern die höchste Erhebung weit und breit. Wer diesen für die Gegend doch recht steilen Aufstieg unternimmt, wird mit einer tollen Aussicht über die Heide belohnt.
Moor am Morgen
Wir setzen unseren Weg Richtung Haverbeck fort und kommen in ein kleines baumbestandenes Tal mit einem markanten Schnuckenstall. Gegenüber entspringt die Haverbeeke, ein Quellbach der Wümme und Namensgeber für den nächstgelegenen Ort, der sich in die beiden Dörfer Nieder- und Oberhaverbeck aufteilt. Hier erwartet uns unser Hotel auf einem ehemaligen Heidebauernhof. Wir kommen nun an Feldern vorbei, das Dorf ist also nicht mehr weit. Ein bisschen scheint die Zeit hier stehen geblieben zu sein, viele Gebäude wurden um die Jahrhundertwende herum errichtet und das Ortsgefüge steht unter Denkmalschutz. Die Nacht werden wir unter Reet verbringen und die absolute Ruhe des Ortes genießen.
Doch der Wecker ist gestellt, denn wir möchten uns ein weiteres heidetypisches Ziel ansehen, das sich bei Sonnenaufgang von seiner schönsten Seite zeigt: das Pietzmoor bei Schneverdingen. Sein Alter wird auf 8000 Jahre geschätzt. Bis in die Sechziger Jahre wurde hier Torf abgebaut, denn Holz als Brennstoff war rar. Die einstigen Torfstiche wurden renaturiert und bilden nun unendlich tief scheinende Teiche, über die Bohlenstege hinwegführen. Etwas Mystisches hat das Moor in der Dämmerung: Birken ragen aus dem still stehenden Wasser und spiegeln sich so vollkommen darin, dass man kaum zwischen Baum und Abbild zu unterscheiden vermag. Tau glitzert auf Gräsern und Moosen und fängt das erste Tageslicht ein. Etwa fünf Kilometer lang ist der Rundweg durch das Moor, langsam steigt die Sonne den Himmel empor. Die frühe Wanderung macht Appetit, und danach haben wir uns unser Frühstück redlich verdient.